Herrmann stellt Verfassungsschutzbericht 2016 vor
München, 19.04.2017Bayerns Innenminister Joachim Herrmann stellt Verfassungsschutzbericht 2016 vor: Besorgniserregende Entwicklung in allen extremistischen Szenen - Islamistische Fanatiker und Rechtsextremisten im besonderen Fokus - Handlungsbedarf beim Bund
+++ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat heute den Verfassungsschutzbericht 2016 vorgestellt. Dabei blickte er auf ein Jahr intensiver Bedrohungen zurück, dessen trauriger Höhepunkt der Terroranschlag kurz vor Weihnachten in Berlin mit zwölf Toten war. Auch in Bayern wurden im Juli letzten Jahres innerhalb von nur einer Woche in Würzburg und Ansbach 21 Menschen durch islamistisch motivierte Anschläge zum Teil lebensgefährlich verletzt. Für Herrmann ist klar: „Die Gefährdungslage hat sich in allen Phänomenbereichen verschärft. In Bayern haben wir reagiert und mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz, dem Sicherheitskonzept „Sicherheit durch Stärke“ und dem „Sofortprogramm Innere Sicherheit“ wesentliche Schritte getan.“ Weiteren Handlungsbedarf sieht er nun in Berlin: „Nun muss auch der Bund seine Sicherheitsbehörden wie in Bayern mit mehr Befugnissen ausstatten. Die sture Blockadehaltung, die Rot-Grün hierzu im Bundesrat an den Tag legt, ist unerträglich“, so der Innenminister. +++
Mit Blick auf den islamistischen Extremismus teilte Herrmann mit, dass aktuell aus Bayern fast 100 Personen in Richtung der Kampfgebiete ausgereist seien, oder dies beabsichtigten. Bundesweit gehen die Sicherheitsbehörden von mehr als 920 ausgereisten Islamisten aus. „Zwar reisen mittlerweile weniger Personen aus, wir nehmen die Lage aber nach wie vor sehr ernst und haben die Betreffenden weiterhin unter verschärfter Beobachtung“, erklärte Herrmann. Besorgniserregend sei, dass sich sogar Minderjährige zu Ausreisen in die Kampfgebiete sowie zu Anschlägen verleiten lassen. Um einer Radikalisierung entgegenzuwirken und dem Terrorismus dadurch den Nährboden zu entziehen, arbeiten das Innen-, Justiz-, Kultus- und Sozialministerium seit 2015 verstärkt im „Bayerischen Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus“ zusammen. Seit Ende November 2016 bietet das Netzwerk im Internet unter www.antworten-auf-salafismus.de umfassende Informationen und Angebote. Neben der Prävention setzt Bayern aber auch konsequent auf Exekutivmaßnahmen. So unterstützte Bayern das Verbot der Vereinigung „Die wahre Religion“ (DWR) durch das Bundesinnenministerium im November 2016 vollumfänglich. Die Bayerische Polizei durchsuchte im Zuge dessen 34 Objekte, zahlreiche Beweismittel wurden sichergestellt.
Im Hinblick auf die rechtsextremistische Szene berichtete Herrmann von einer verschärften Hetze gegen Flüchtlinge im Internet. Herrmann dazu: „In der Anonymität des Internets hetzen neben Aktivisten der rechtsextremistischen Szene auch Personen, die bislang keinen rechtsextremistischen Strukturen angehörten. Vor allem in geschlossenen Gruppen im Netz fällt jede Hemmschwelle.“ Um dem zu begegnen habe das Landesamt für Verfassungsschutz nach Herrmanns Worten im April 2016 für die operative Internetauswertung im Bereich Rechtsextremismus einen eigenen spezialisierten Fachbereich eingerichtet. Mit Blick auf Straftaten gegen Asylunterkünfte erklärte Herrmann: „Mit insgesamt 94 Vorfällen bewegen wir uns weiterhin auf einem hohen Niveau. Nach einem erheblichen Anstieg der Fallzahlen seit Juli 2015 mit einem Höhepunkt im Februar 2016, ist seit März allerdings ein rückläufiger Trend feststellbar.“ Jenseits der rechtsextremistischen Parteien etabliert sich mit der „Identitären Bewegung Bayern“ (IBD) eine neue Gruppierung, die mit modernen Aktionsformen und neuen Begriffen auf subtile Weise ihre Ideologie einer „ethnokulturellen Identität“ verbreitet. Dahinter verberge sich letztendlich eine starke Verwandtschaft mit der völkischen Ideologie der Rechtsextremisten, so Herrmann.
Die politischen Entwicklungen im Ausland beeinflussen auch die Aktivitäten extremistischer Ausländerorganisationen in Deutschland und damit unsere Sicherheitslage. In Bayern ist die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit circa 1.800 Anhängern die größte ausländerextremistische Organisation. Deutschlandweit sind ihr rund 14.000 Personen zurechenbar. Über ein vergleichbares Anhängerpotenzial verfügt die türkisch-rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung, die sogenannten „Grauen Wölfe“. Der Innenminister stellte fest: „Seit Herbst 2015 kommt es bei Kundgebungen in Bayern immer wieder zu Provokationen, teils auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und Anhängern der „Grauen Wölfe“. Große Sorgen bereiten mir auch die Entwicklungen nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli letzten Jahres.“ Insbesondere Anhänger und Einrichtungen der „Gülen-Bewegung“, die nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes unterlägen, seien zu Angriffszielen geworden. Herrmann machte deutlich: „Die Versuche der türkischen Regierung, auf die türkisch-stämmige Bevölkerung in Deutschland Einfluss zu nehmen, akzeptieren wir nicht. Deutsche Sicherheitsbehörden lassen sich nicht zum Handlanger des türkischen Nachrichtendienstes MIT bei der Ausspähung der Gülen-Bewegung machen. Die bayerischen Sicherheitsbehörden führen mit von den Ausspähversuchen Betroffenen Sensibilisierungsgespräche.“
Durch die Tötung eines Polizeibeamten im Oktober 2016 rückte auch die Szene der sogenannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in den Fokus der Öffentlichkeit. Reichsbürger und Selbstverwalter leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und erkennen Grundgesetz und Gesetze nicht an. Gegenüber Gerichten oder Behörden treten sie zum Teil äußerst aggressiv auf. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat deshalb die Beobachtung der Szene als „sicherheitsgefährdende Bestrebung“ aufgenommen. Mittlerweile konnten die Sicherheitsbehörden knapp 2.700 „Reichsbürger“ identifizieren, weitere rund 2.150 Fälle werden aktuell noch geprüft. Darüber hinaus hat das Bayerische Innenministerium die Waffenbehörden darauf hingewiesen, dass Reichsbürger regelmäßig waffenrechtlich unzuverlässig sind. „Die Waffenbehörden müssen Anträge auf Waffenerlaubnisse in solchen Fällen konsequent ablehnen und bereits erteilte Erlaubnisse widerrufen“, betonte Herrmann.
Die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene bewegt sich trotz eines leichten Rückgangs in 2016 auf anhaltend hohem Niveau. Gewalttätige Übergriffe richten sich dabei nicht nur gegen Rechtsextremisten. Auch staatliche Institutionen oder Repräsentanten werden Ziel von Angriffen. Für Herrmann steht fest: „Diese Leute suchen die Gewalt und provozieren Konflikte. Dazu instrumentalisieren sie zum Beispiel die aktuelle Diskussion um die Zuwanderung, um dem Staat bei der Durchsetzung des geltenden Rechts pauschal „Faschismus“ und „Rassismus“ zu unterstellen.“ Im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf rechnet der Innenminister mit einer Steigerung der linksextremistischen Aktivitäten.
Handlungsbedarf sieht Herrmann nun vor allem auf Bundesebene. Um Gefährder rechtzeitig zu identifizieren, müsse auch das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz Zugriff auf die bei Telekommunikations-Anbietern gespeicherten Verkehrsdaten erhalten, wie dies in Bayern bereits Gesetz sei. „Auch die Überwachung von Messenger-Diensten wie Whatsapp muss der Bund dringend verbessern. Hierzu muss das Bundesamt für Verfassungsschutz Online-Daten erheben dürfen“, so Herrmann. Nötig sei auch eine klare gesetzliche Regelung der sogenannten Quellen- Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Bayern habe hierzu im Bundesrat mehrere Gesetzesanträge eingebracht. Auch in Bezug auf minderjährige islamistische Attentäter nimmt Herrmann den Bund in die Pflicht: „Die für eine Speicherung geltende Mindestaltersgrenze muss auch im Bundesverfassungsschutzgesetz abgeschafft werden. In Bayern ist dies seit letzten Sommer bereits Gesetz.“